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Erfahrungen im Home Office: Auf der Suche nach der Balance

Freude und Frust liegen dicht beieinander. Viele Mitarbeiter von Reisebüros, Reiseveranstaltern und Travel Management Companies arbeiten derzeit von zu Hause aus. Die einen genießen die neue Flexibilität, die anderen leiden unter den fehlenden, informellen Kontaktmöglichkeiten.

Patrik Weitzer fährt normalerweise, also in der Vor-Corona-Zeit, rund 70.000 Kilometer jährlich mit seinem Firmenwagen. Er verbringt unzählige Stunden auf der Autobahn. Seine Arbeitstage dauerten oft zwölf bis 14 Stunden. Und jetzt sitzt er in seinem Home Office in Hallein und ist zufrieden: „Ich bin jetzt produktiver als vorher, weil diese Fahrerei entfällt.“

Weitzer ist Geschäftsführer von fünf Reiseunternehmen, die in der Nähe von Stuttgart, in München, Salzburg und Wien ihren Sitz haben. In Österreich gehören Geo Reisen (Salzburg) und Raiffeisen Reisen (Wien) zu seinem Verantwortungsbereich. In seinem Unternehmensverbund werden viel stärker als früher digitale Lösungen eingesetzt.

Digitale Unterschriften als Geschäftsführer leistet er jetzt mit dem i Pad. Ihm kommt zugute, dass seine Unternehmen schon vor Jahren das Projekt des papierlosen Büros angepackt haben. Sein Arbeitsplatz in der Halleiner Wohnung ist deshalb technisch auch voll ausgerüstet.

Individueller Rhythmus

Sabrina Schwab, bei Travelport als Head of New Business Marketing Europe normalerweise mit Sitz in Wien tätig, verbringt jetzt ihre Arbeitstage daheim in Brunn am Gebirge. Sie arbeitet am Esstisch, nahe an der Kaffeemaschine, und kann die Arbeitszeit an den persönlichen Rhythmus anpassen.

Daraus ergeben sich auch Freiräume, die sie für sportliche Aktivitäten nutzt. „Ich bin gut organisiert,“ sagt sie über sich selbst, „und sitze jeden Tag ab 7 Uhr am Laptop.“ Das Arbeiten in Video-Konferenzen ist ihr bei Travelport schon seit langem vertraut.

Freiheit als Herausforderung

Auch Robert Rieb, Geschäftsführer bei FCM Travel Solutions/Columbus Business Travel GmbH, ist ein „Early Bird.“ Aus seiner früheren Tätigkeit bei Austrian Airlines mit vielen Auslandsaufenthalten ist er gewohnt, sich selbst gut zu organisieren: „Man darf nichts schleifen lassen.“

Er hat bei Columbus die Erfahrung gemacht, dass Home Office nicht für alle Mitarbeiter gleichermaßen geeignet ist. Ideal sei diese Lösung beispielsweise für junge Mütter, die kleine Kinder zu betreuen haben und sich ihre Zeit besser einteilen können. Nicht so gut kommen Mitarbeiter mit der neuen Freiheit zurecht, die gewohnt sind, in einer fixen Teamstruktur und face-to-face zu arbeiten. Um der Isolierung entgegenzuwirken, hat Rieb auch fixe Bürotage eingerichtet.

Schlabber- oder Smart-Look?

Jogging-Hosen im Home Office? An dieser Frage scheiden sich die Geister. Die einen genießen den lässigen Freizeitlook, die anderen - wie etwa Patrik Weitzer und Robert Rieb - finden es ganz selbstverständlich, am heimischen Laptop im „Smart Casual Outfit“ zu sitzen, wie es die Amerikaner nennen.

Der Begriff meint ein legeres Business-Outfit. Jogging-Hosen sind für sie ein No-Go! Unvergessen der Spruch des verstorbenen Modeschöpfers und Lästermauls Karl Lagerfeld: „Wer Jogging-Hosen trägt, hat sich selbst aufgegeben.“

Eine Frage der Technik

Gabriela Sladek, Filialleiterin von Raiffeisen Reisen am Wiener Karmelitermarkt, steht täglich früh in ihrer Floridsdorfer Wohnung auf, bearbeitet E-Mails, ruft im Lauf des Tages Kunden zurück. Sie profitiert sehr von einem neuen Tool, das Raiffeisen Reisen kürzlich eingeführt hat: Alcatel Rainbow.

Es ist eine Kommunikationslösung, mit der Heimarbeitsplätze, also Telefon, Laptop und Smartphone, integriert werden. Der Kunde sieht bei Anrufen immer nur die Büro-Telefonnummer. Gabriela Sladek: „Kein Anruf geht verloren.“ Sie spricht generell ihrer IT-Abteilung ein großes Lob aus: „Wir haben in kürzester Zeit Zugänge geschaffen, mit der wir zu Hause wie im Büro arbeiten können.“

Produktiver, aber gestresster?

Wohnung wird von den meisten Menschen mit Freizeit in Verbindung gebracht. Es ist nicht einfach, aus dieser Konditionierung herauszukommen, wenn die Produktivität nicht leiden soll. Aber leidet denn die Produktivität unter den Bedingungen von Home Office? Die Erfahrung spricht dagegen.

Die von tma-online befragten Reiseexperten berichten übereinstimmend, dass sie produktiver geworden sind, weil es weniger Ablenkung gibt. Arbeitsforscher warnen allerdings: Es komme öfter zu mehr unbezahlter Arbeit. „Der Home-Office-Mitarbeiter mutet sich häufig zu viel zu und ist gestresst.“

Persönlicher Austausch schwer ersetzbar

Nach anfänglicher Begeisterung über die neu gewonnene Flexibilität durch das Arbeiten von zu Hause aus, ist jetzt aber eine gewisse „Home-Office-Müdigkeit“ zu spüren. Zwar funktioniert die Beratung der wenigen Kunden per Telefon oder Video, doch der direkte Blickkontakt, die Körpersprache fehlen. Auch der Kontakt zu den Kollegen wird vermisst.

Die Travelport-Managerin Sabrina Schwab sagt: „Ich vermisse den Austausch an der Kaffeemaschine.“ Es ist aber nicht nur der informelle Austausch mit Kollegen, der in der neuen Situation als Mangel wahrgenommen wird. Matthias Horx, in Wien lebender Zukunftsforscher: „Wenn etwas Neues entstehen soll und auch bei der Diskussion von sehr komplexen Problemen ist die persönliche Begegnung nur schwer zu ersetzen.“

Konzentrationssache

Hinzu kommt noch ein wenig beachteter Aspekt, vor allem für Führungskräfte: „Digitale Meetings sind extrem anstrengend,“ meint Robert Rieb von FCM. Weil die Körpersprache fehlt - die kleinen Signale, die Zustimmung, Distanz oder Ablehnung signalisieren - ist es für den Leiter eines Meetings sehr schwer, die Aufmerksamkeit des Teams über die Dauer des Meetings zu erhalten.

Wer häufig an internen Video-Konferenzen teilnimmt, berichtet auch davon, dass das Medium Video zum „Quasseln“ verleitet. Bis die Teilnehmer zum Punkt kommen, dauert es häufig ziemlich lange. Dabei sind die Störungen durch eingeschaltete Lautsprecher, holprige Technik, bellende Hunde noch gar nicht berücksichtigt.

Generell scheinen sich die klassischen IT-Anbieter im Reisemarkt, also die Global Distribution Systems und die Anbieter von Mid- und Back-Office Software, noch nicht ganz auf die neue Situation eingestellt zu haben. Patrik Weitzer: „Wir müssen in der Branche die Fernzugriffe und vor allem die Stabilität im Zugriff auf CRS-Systeme verbessern. Es sollte schlanker und deutlich webbasierender werden.“ Oft sei die lokale Installation zum Problem geworden.

Idealer Mix

Was kommt nach Corona? „One size fits all“ wird es nicht geben, also keine generelle Home-Office-Tätigkeit, aber auch kein Zurückkehren zu 100 Prozent Büroarbeit, meint Robert Rieb. Sabrina Schwab freut sich, wenn sie wieder im Büro arbeiten kann, sagt aber: „Ein Mix zwischen Büro und Home Office wäre ideal. Dann muss ich auch nicht mehr kochen.“

Erlebt das persönliche Treffen gerade durch die Erfahrung in der Corona-Zeit eine Neubewertung? Zukunftsforscher Matthias Horx: „Die Sehnsucht nach dem Analogen wächst, je mehr wir digitale Technik, also Videokonferenzen, nutzen.“ Eine neue Organisation der Arbeit ist im Entstehen. (Wilfried Kropp)

Tipps für das Home Office

  • Den Arbeitstag strukturieren. Zu fixen Zeiten arbeiten und erreichbar sein
  • Auch für private Tätigkeiten ausreichend Zeit einplanen
  • Je nach persönlichem Biorhythmus Ruhe- und Erholungsphasen sichern
  • Aufgabenlisten erstellen und zügig abarbeiten
  • Die Home-Office-Tätigkeit als Arbeit ansehen und sich zu Hause wie für das Büro anziehen
  • Ablenkung durch Facebook & Co vermeiden
  • Klare Grenzen zwischen Arbeit und Freizeit ziehen




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